Der Bürojob im Hype: Warum die Gen Z keine Lust auf traditionelle Berufe hat und wie sich dies ändern lässt

Der Bürojob im Hype: Warum die Gen Z keine Lust auf traditionelle Berufe hat und wie sich dies ändern lässt

93 Prozent der Jugendlichen legen Wert auf einen sicheren Arbeitsplatz, 85 Prozent  streben nach einer guten Work-Life-Balance und 91 Prozent suchen nach einer (aus ihrer Sicht) sinnstiftenden Tätigkeit, so die Shell Jugendstudie 2024. Das könnte schon mal einen Hinweis darauf geben, warum klassische, Handwerks-, Bau- und Dienstleistungsberufe am Menschen – nicht im bequemen Büro – bei der jungen Generation kaum Anklang finden. Ich erlebe täglich, dass die junge Generation immer weniger bereit ist, zu den traditionellen Konditionen, Arbeitszeiten, Rahmenbedingungen, wie Schichtarbeit, frühes Aufstehen oder längerem Arbeitsweg, zu arbeiten. Ja, oft scheitert es bereits am „von A nach B“ kommen. Obwohl viele junge Leute beim Jobhopping mobil sind, sind sie es beim täglichen Arbeitsweg nicht. 

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Lehrlingsentgelt: Der Öffentliche Dienst zahlt mehr

Was hinzu kommt: Sie haben heute eine viel größere Auswahl an Berufen, gerade auch hipperen, sauberen und Instagram-tauglicheren oder andererseits komfortablen Bürojobs, gern auch von zu Hause aus. Als Klempner geht das nicht. Zudem ist die Vergütung ein großes Problem: der Tischler-Azubi oder die angehende Tierarzthelferin erhalten 500 Euro, beim öffentlichen Dienst sind es 1.200 Euro. Warum soll ich also etwas Handwerkliches oder gesellschaftlich Sinnvolles tun, wenn ich woanders mehr als das doppelte Geld verdiene, fragen sich viele. Dabei bin ich kein Schwarzmaler: Etliche junge Leute entscheiden sich trotzdem für den vermeintlich steinigeren Weg. Doch in der Tendenz führen diese und andere Ungleichgewichte dazu, dass wir eine starke Abwanderung aus den klassischen Berufen verzeichnen. Es sind auch jene Jobs mit mehr Verpflichtungen und handwerklichen Fähigkeiten. Wir zogen eine Generation groß – die unterm Strich –  und nicht im Einzelfall, weder Verantwortung tragen will noch Verpflichtungen eingehen möchte. 

In Kombination mit dem Schulsystem, wo die Anforderungen sich verschlechtern, bricht uns dies das Genick und macht es für Firmen schwieriger, genügend Leute zu finden. Insgesamt ist ein hohes Maß an Unselbstständigkeit bei trotzdem hohem Anspruchsdenken gegenüber dem Arbeitgeber entstanden. Zu leiden hat darunter jedoch die Gesellschaft. Wir sehen das an unserer verfallenden Infrastruktur oder wenn wir bei Handwerkern und in der Autowerkstatt lange auf einen Termin warten. 

Lehrstellen: Ein Drittel bleibt unbesetzt

Wie dramatisch die Lage am Lehrstellenmarkt ist, zeigen auch offizielle Zahlen: 35 Prozent aller Ausbildungsplätze ließen sich 2023 nicht besetzen. Regional, größen- und branchentechnisch sieht es teils noch schlimmer aus. So liegt die Nichtbesetzungsquote in Ostdeutschland bei 40 Prozent. Bei Kleinstbetrieben blieben 43 Prozent der angebotenen Ausbildungsplätze frei. Die größten Rekrutierungsprobleme haben dabei das Baugewerbe und etwa Friseurbetriebe: Fast die Hälfte aller Ausbildungsplätze blieb hier unbesetzt. Gleichzeitig verfügen knapp drei Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren über gar keinen Berufsabschluss. Das sind 19 Prozent. 

Ich mache mir Sorgen um Deutschland, und dass wir auch auf dem Gebiet der Berufsausbildung unsere einstige Führungsfunktion verlieren und unser Wohlstand verfällt. Ich stelle dabei das komplette, heutige Berufsausbildungssystem in Frage, das zu komplex ist und glaube: In zehn Jahren ist dieses hochgelobte deutsche duale System Geschichte. 

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Denn für viele Berufe würden da nur noch zwei Leute in der Klasse sitzen. Konsequenz: Sie müssen schließen und die Klassen weit weg an einem anderen Ort zusammenlegen. Andere westliche Länder haben ohnehin Schulsysteme, die nicht in solch starkem Maße auf ein Studium, sondern eine Ausbildungskarriere hinauslaufen. Dies ist in meinen Augen ein weiterer Grund für die Misere hierzulande.

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Helden brennen für ihre Arbeit

Wenn Kunden zu mir kommen, kann ich nur die Leute vermitteln, die irgendwann mal eine Ausbildung absolviert haben. Inzwischen vermitteln wir auch Auszubildende. Doch wer will noch als Koch arbeiten? Mindestens die Hälfte derer arbeitet woanders. Denn: Weshalb soll ich in der Frühe um vier als Bäckerlehrling und später als Geselle aufstehen? Coole IT-Konzerne sind attraktiver: Homeoffice, Vollverpflegung, Dienstfahrrad und dann noch eine Woche Workation in Barcelona. Nicht alle, aber zu viele denken so und man kann es verstehen. Wie kann ich mit wenig Arbeit möglichst viel Geld verdienen und vielleicht als Influencer noch ein Nebeneinkommen stemmen. Denn gerade durch die sozialen Medien entstand riesiger Druck. Charakterstärke ist kaum noch angesagt. Vielmehr geht es ums Präsentabelsein. Da sind die Fotos von der Teamwoche in Spanien deutlich cooler als jene von der Baustelle. Zum Glück gibt es noch andere Menschen, aber es sind zu wenige: Jene in den klassischen Berufen mit anspruchsvollen Fertigkeiten, die keine Maschine und Automatisierung ersetzt. Diese Helden brennen für eine Sache. Es sind zwei Extreme, die Generation Z ist nicht homogen. Was müssen also Unternehmen, ja die Gesellschaft, gerade auch die Politik hier tun? Wie können Unternehmen ihre Rekrutierungsstrategien anpassen, um die Generation Z besser anzusprechen?

Vorbilder und Vorteile vermarkten

Sicher gilt es solche Helden-Vorbilder aus traditionellen Branchen zu nutzen und viel besser zu vermarkten. Daneben müssen wir auf zwei Ebenen ran: die Unternehmen gesamtgesellschaftlich unterstützen, um ihnen als Ausbildungsbetrieb das Leben so leicht wie möglich zu machen. Und dann müssen wir die Lehre generell – und bei den „Sorgenkindern“ sofort – viel attraktiver gestalten: Ausbildungszeiten kürzen und Entgelt erhöhen. Hier bin ich für eine stärkere Motivierung, obwohl mir persönlich der Begriff nicht so gut gefällt. Ich bin eher für „Konditionierung“, das ist ehrlicher. Da plädiere ich konsequent für den Leistungsgedanken, gerade auch bei Azubis. Und das setzt natürlich an der Vergütung an: Es gibt ein Grundeinkommen (Lehrlingsentgelt). Dann aber kann der oder die an bestimmten Tage, je nach Leistung, zusätzlich bezahlte Aufträge abarbeiten. In einem Handwerksbetrieb funktioniert das prima. 

Das Beste aber und für mich ein unschlagbares Argument – wenn man es gut platziert und in Szene setzt: Selbstständigkeit bedeutet Selbstbestimmung und das ist das, was die junge Generation möchte. Dieses Gefühl, wenn du abends nach Hause gehst, zu denken: „Heute hab ich was Gutes, Sinnvolles, idealerweise etwas praktisches Vorzeigbares geleistet.“ Denn Qualität zu liefern und sogar noch eine eigene Firma zu gründen – diese Perspektive ist doch etwas Großartiges. 

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