Handwerk 2.0: Neue Rekrutierungsstrategien gegen Fachkräfte- und Nachwuchsmangel
Digitale Präsenz und Social Media sind Schlüssel zur Gewinnung junger Talente.
Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk. Das gilt auch und gerade für das Marketing, das immer wieder aufs Neue überraschen sollte, um neue Reize zu setzen und neue Zielgruppen zu erreichen. Beispielhaft gut und innovativ hat das in diesem Jahr der Deutsche Fußball-Bund vorgemacht: Bei der Nominierung vieler Spieler im Kader von Bundestrainer Julian Nagelsmann für die Heimat-EM im Sommer erfolgte die Veröffentlichung mancher Namen an ungewöhnlichen Orten durch Prominente oder Nichtprominente: auf der Musikbühne, live während der „Tagesschau“ … und auf dem Bau. Die Dachdeckerin Chiara Monteton hatte die Ehre, via Instagram die Nominierung von Torhüter Manuel Neuer verkünden zu dürfen. Dafür drehte Chiara Monteton ein Video, in dem sie eine „Nummer 1“ aus einer Schieferplatte schlug und an der Wand aufhing.
Familiennachfolge im Handwerk wird zum Auslaufmodell
Nun hat sich der Deutsche Fußball-Bund mit Chiara Monteton nicht Irgendeine für die Aktion ausgesucht: Auf dem Bau, speziell auf dem Dach, sind Frauen bis heute eher die Exotinnen unter vielen Männern. Hinzu kommt, dass Chiara Monteton durch ihren Vater nicht nur das handwerkliche Geschick geerbt hat, sondern selbst auch ein sehr, sehr ordentliches Händchen für Social-Media-Aktivitäten mitbringt und bereits mehr als 150.000 Follower auf Instagram unterhält. Die junge Frau hat den Abschluss der Meisterschule frisch in der Tasche und unterstützt mit ihrem Bruder den Vater Ingo Monteton bei der Führung des Familienbetriebs mit Sitz in Bochum.
Die Nachfolge bei den Montetons ist damit „safe“, um es in der Jugendsprache zu formulieren. Doch andernorts in Deutschland sieht es wesentlich schlechter aus. Viele Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand, weil die Unternehmensnachfolge nicht geklärt ist und es etwa keine (willigen) Kinder gibt, die den Betrieb mit dem Erreichen des Rentenalters der aktuellen Eigentümer übernehmen könnten. Zusätzlich – und dieser Trend wird sich noch verschärfen – gibt es ein gravierendes Nachwuchsproblem. Es kommen immer weniger und immer weniger gut qualifizierte Fachkräfte und Azubis „von unten“ nach, die später in den Kreis derjenigen vorstoßen könnten, die einen Betrieb übernehmen könnten.
Kundenlisten sind rappelvoll, Bewerberanfragen dagegen Mangelware
Aus Anlass des „Tags des Handwerks“ im September vergangenen Jahres meldete sich die Bundesagentur für Arbeit mit sehr düsteren Zahlen. Auf der Nachfrageseite boomt das deutsche Handwerk – die Wartelisten bei Sanitärbetrieben, Elektrikfirmen oder Malern sind lang und länger, Kunden warten oft monatelang auf freie Termine. Doch auf der Angebotsseite herrscht ein immer größerer Mangel. „Die Zahl der Engpassberufe im Handwerk hat sich innerhalb von drei Jahren erhöht. Mittlerweile identifiziert die BA in jedem dritten Handwerksberuf einen Fachkräftemangel“, heißt es in der Analyse der Bundesagentur für Arbeit, kurz BA.
Noch im Jahr 2019 hat die BA von insgesamt 177 Berufen 56 als Engpassberufe identifiziert. Im Jahr 2022 waren es 68. Das ist ein Anstieg von 32 Prozent auf 38 Prozent der Berufe im Handwerk. Die Arbeitsmarktexperten: „Die Bandbreite reicht von Berufen der Bauelektrik, der Kfz-Technik, der elektrischen Betriebstechnik bis hin zu denen in der Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik.“ Im August 2023 waren der BA 138.000 Stellen für diese Berufe gemeldet. Mehr als 111.000 davon waren Stellen für Fachkräfte in einem der Engpassberufe.
Ernüchterndes Fazit: „Damit muss bei über 80 Prozent der gemeldeten Stellen mit Schwierigkeiten bei der Besetzung gerechnet werden.“ Im Klartext: Handwerksunternehmen haben massive Probleme, geeignete Leute für freie Jobs zu finden. Oft dauern die Besetzungsmarathons viele Monate, wenn es überhaupt zu einem Job-Happy-End kommt.
Das Handwerk hat ein schlechtes Image
Es besteht eine weit verbreitete Wahrnehmung, dass das Handwerk in Deutschland ein schlechtes Image hat. Verschiedene Akteure arbeiten jedoch aktiv daran, diese Wahrnehmung zu verbessern. Für das schlechte Image und die hohe Zahl unbesetzter Stellen im Handwerk gibt es mehrere Gründe. Zum einen die „ins Wanken geratene Bildungspyramide“: Gefühlt wollen alle Schülerinnen und Schüler – und vor allem ihre Eltern im Hintergrund – aufs Gymnasium. Das Resultat ist ein unsicheres und instabiles Bildungssystem, das die Chancengleichheit und die Qualität der Bildung gefährdet. Doch mit Abitur in der Tasche sind dann viele gar nicht mehr fürs Handwerk erreichbar. Das lässt sich teilweise damit erklären, dass der Umgangston auf Baustellen oft rauer ist als im Hörsaal und falsche Vorurteile über das Handwerk existieren. Viele Handwerksunternehmen und der Handwerksverband tun eine Mege dafür, um mit diesem Imagevorurteil aufzuräumen – inklusive Social-Media-Stars aus der Branche wie Dachdeckerin Chiara Monteton. Doch sie alle bohren dabei ein dickes Brett.
Tradition zieht nicht mehr – Recruiting muss neu überdacht werden
Die Kernaufgabe für die nächste Zeit lautet also, um überhaupt auf eine Chance auf Besserung beim Fachkräfteangebot zu haben: Das Handwerk muss attraktiver werden. In Sachen Bezahlung und Arbeitszeit hat sich dabei in den vergangenen Jahren nach Beobachtung von Experte Tobias Dietze schon eine Menge zum Besseren gewendet. Aber es genügt eben noch nicht. Das Handwerk muss mit der Zeit gehen und auf die besonderen Bedürfnisse der Generation Z eingehen: Unabhängigkeit, Selbstbestimmtheit, Work-Life-Balance. Die Zeiten, in den Azubis ausschließlich als Hilfskräfte angesehen wurden, sind längst vorbei. Auch mit dem Faktor „Tradition“, der von vielen Unternehmen und auch beim Employer Branding betont würde, ließe sich die Generation Z nicht mehr vom Sofa oder aus dem Gamer-Stuhl locken. Die Zielgruppe der Menschen, die in traditioneller Zimmermanns-Kleidung auf die Walz gehen, ist doch arg begrenzt.
Neue, innovative Formen des Recruitings, wie beispielsweise Social Media Recuiting, der Einsatz KI-basierter Tools, Personalized Recruiting – vor allem auf digitalen Kanälen. Und damit meint Dietze vor allem die Social-Media-Plattformen der Jugend wie TikTok, Instagram und Snapchat. Facebook hingegen hat in der Zielgruppe der GenZ an Popularität verloren. Um die junge Generation bestmöglich zu erreichen, ist es essenziell, die eigene Onlinepräsenz auf den Plattformen, wo sich die Zielgruppe tummelt, zu verstärken und Einblicke in den Arbeitsalltag authentisch und transparent zu gestalten. Gleichermaßen wichtig ist die klare Kommunikation der Bedeutung und Werte individueller Ausbildungsprogramme.